Offener Brief für ein kreatives, solidarisches, neutrales Sommersemester 2020

Liebe Mit­studierende, 

ihr kön­nt die unten­ste­hen­den Forderun­gen für ein kreatives, sol­i­darisches, neu­trales Som­merse­mes­ter 2020 im offe­nen Brief an den Präsi­den­ten der Bauhaus-Uni­ver­sität Prof. Dr. Speitkamp unter­stützen,»> indem ihr in diesem Pad mitze­ich­net. «<

Passt auf euch auf, Pol.B

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Offen­er Brief für ein kreatives, sol­i­darisches, neu­trales Som­merse­mes­ter 2020
07.04.2020

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Speitkamp,

angesichts der aktuellen Sit­u­a­tion befind­en wir uns gesamt­ge­sellschaftlich im Aus­nah­mezu­s­tand. Jedoch gibt es rechtliche, poli­tis­che und ökonomis­che Rah­menbe­din­gun­gen, die Studierende spez­i­fisch betr­e­f­fen, und gle­ichzeit­ig sind — eben­so wie unsere Leben­sre­al­itäten — akute Prob­leme der Studieren­den sehr vielfältig.

In Ihren bish­eri­gen Verkün­dun­gen ver­mis­sen wir bis­lang einen sen­si­bleren Umgang mit den speziellen Sor­gen und Prob­le­men der Studieren­den an der Bauhaus-Uni­ver­sität Weimar und möcht­en hier­mit auf Ihren Appell “Jet­zt erst recht” reagieren.

Seit der Kul­tus­min­is­terkon­ferenz ste­ht fest, dass das Som­merse­mes­ter stat­tfind­en wird. Allerd­ings sind die angekündigten klaren Leitlin­ien noch nicht her­aus­gear­beit­et, und wir wün­schen uns die Berück­sich­ti­gung der Studieren­den­in­ter­essen und klare Ver­mei­dung von Nachteilen für unsere akademis­che Aus­bil­dung. Dies wird aus unser­er Sicht durch ein kreatives, sol­i­darisches, neu­trales Semes­ter auf Bun­de­sebene gewährleis­tet. Wer am dig­i­tal­en Studi­um teil­nehmen kann und will, wer Abschlus­sar­beit­en schreiben kann und will, wer über die für ein Studi­um notwendi­gen Finanzen und Infra­struk­tur ver­fügt, soll dadurch auf keinen Fall benachteiligt wer­den. Wem dies jedoch nicht möglich ist, dem* oder der* darf durch die derzeit noch in Kraft ste­hen­den Reg­u­lar­ien (z.B. Regel­stu­dien­zeit, Langzeit­ge­bühren, etc.) kein weit­er­er Nachteil entste­hen. Wir benöti­gen eine Lösung ohne bürokratis­chen Aufwand und indi­vidu­elle Fall­prü­fun­gen oder Kontrollen. 

Wir plädieren daher für ein kreatives, sol­i­darisches, neu­trales Semes­ter, wie von Studieren­de­nor­gan­i­sa­tio­nen in ganz Deutsch­land gefordert: https://solidarsemester.de/

Dieses muss an bes­timmte rechtlich gesicherte Rah­menbe­din­gun­gen geknüpft sein, um den Studieren­den bald­möglichst zumin­d­est eine kleine Sicher­heit zu geben. Hier­bei ver­weisen wir auch beson­ders auf Sicher­heit­en für aus­ländis­che Studierende, die in dieser Sit­u­a­tion von ihren Heimatlän­dern nicht zurück­ge­flo­gen wer­den. Jegliche Hil­fen von Seit­en der Regierung wer­den für sie nicht in gle­ichen Maßen greifen wie für deutsche Staatsbürger*innen. Sie sind auf Ein­ladung der Uni­ver­sität hier­hergekom­men, weswe­gen wir uns ihnen in dieser Sit­u­a­tion beson­ders sol­i­darisch verpflichtet sehen müssen.

In diesen Angele­gen­heit­en hof­fen wir auf Ihre Unter­stützung bei der Umset­zung der nötig­sten Forderun­gen. Diese müssen auch durch die Uni­ver­sität­sleitun­gen an die jew­eili­gen Min­is­te­rien auf Lan­des- und Bun­de­sebene getra­gen wer­den. Wir bit­ten Sie darum, sich in dieser Sit­u­a­tion mit Studieren­den und prekär Beschäftigten an Ihrer Insti­tu­tion sol­i­darisch zu zeigen und die Forderun­gen aktiv zu unter­stützen! Außer­dem möcht­en wir Sie darum bit­ten, sich in beson­derem Maße für eine Lösung auf Bun­des- bzw. Län­derebene einzuset­zen, um ein­heitliche und faire Ver­hält­nisse in Thürin­gen und Deutsch­land zu erzielen. 

Um unser Anliegen zu unter­stre­ichen, möcht­en wir Ihnen nochmals detail­liert­er dar­legen, welche beson­deren Sit­u­a­tio­nen Studierende ger­ade durchleben.

1. Finanzielle Unsicherheit

- Zwei Drit­tel der Studieren­den, inklu­sive Inter­na­tion­als, arbeit­en neben ihrem Studi­u­min meist prekären Mini- oder Midi­jobs, die ger­ade mas­siv weg­brechen. Soforthil­fen der Regierung berück­sichti­gen sie auf­grund des Studieren­den­sta­tus nicht, viele befind­en sich jet­zt ger­ade in ein­er akuten Not­si­t­u­a­tion. — Viele Hiwis ver­lieren ger­ade ihre Verträge an den Uni­ver­sitäten, oder erhal­ten keinen Lohn, da sie ihren Arbeit­en, z.B. in Laboren, nicht nachkom­men können.

- Für Wohn­geld ver­di­enen Studierende zu wenig, da sie häu­fig unter der offiziellen Armutsgren­ze leben, bzw. kön­nen sie erst einen Antrag stellen, wenn sie nicht berechtigt sind, BAföG zu beantragen.

- Auch Eltern sind durch Einkom­men­sein­bußen teils nicht mehr in der Lage, ihrer Unter­halt­spflicht nachzukommen.

- Mietschulden wer­den durch die Möglichkeit zur Stun­dung nicht aufgelöst, son­dern akku­mulieren sich.

- Inter­na­tion­als, die sich jet­zt um die Ver­längerung ihres Visums küm­mern müssen, ger­at­en in Prob­leme: Die 10.000 Euro die für ein Visum vorgewiesen wer­den müssen, wer­den ger­ade häu­fig aufge­braucht um den Job­ver­lust auszu­gle­ichen, oder die Infla­tion im Heimat­land devaluiert die Sparbeträge.

- Studierende mit Kindern müssen sich gle­ichzeit­ig noch um diese küm­mern und kön­nen ggf. nicht mehr arbeit­en, geschweige denn studieren.

2. Gesund­heitliche Unsicherheit

- Auch jün­gere Studierende kön­nen Teil der Risiko­gruppe sein und haben vielle­icht größere Hem­mungen, sofort zurück in die Werk­stät­ten oder Ein­rich­tun­gen zu gehen, sofern diese wieder geöffnet werden.

- Studierende wer­den selb­st erkranken oder auch ihre Freund*innen und Fam­i­lie; sowie Überträger*innen sein.

- Die psychische Belas­tung ist hoch: Für viele Studierende ist es die erste Krise, die sie bewusst erleben; für Inter­na­tion­als, die Kred­ite aufgenom­men haben, in Deutsch­land “eingeschlossen” sind, ohne Möglichkeit in ihre Heimatlän­der zu fliegen, geschweige denn von ihren Regierun­gen aus­ge­flo­gen zu wer­den, ist der psy­chis­che Druck enorm.

- Studierende leben zudem meist in Wohnge­mein­schaften oder Wohn­heimen mit vie­len Men­schen auf engem Raum zusam­men — auch mit Men­schen, die im Gesund­heitssys­tem oder sys­tem­rel­e­van­ten Berufen arbeit­en und beson­ders hohem Infek­tion­srisiko aus­ge­set­zt sind / in Quar­an­täne sind / der Risiko­gruppe ange­hören — dies steigert Unsicherheitsgefühle.

3. Dig­i­tale Lehre

- Präsen­zlehre ohne entsprechende Konzepte ins Dig­i­tale zu über­tra­gen, ist päd­a­gogisch nicht sinnvoll.

- Studierende wie Professor*innen müssen dig­i­tale Kom­pe­ten­zen noch ler­nen — ist dies in diesem verkürzten Semes­ter möglich? Wie lange würde es dauern, bis das Know-How vorhan­den ist?

- Sind die Pro­gramme sich­er und der Daten­schutz zuverlässig?

- Was passiert, wenn die Bemühun­gen nicht aufge­hen, und die Studieren­den ihr Online-Studi­um aufgeben?

- Werk­stät­ten und Arbeit­sräume kön­nen nicht dig­i­tal erset­zt werden.

- Freie Pro­jek­te in Iso­la­tion anzu­bi­eten, kann nur eine Lösung sein, wenn zusät­zlich freie Pro­jek­te in erneuten reg­ulären Semes­tern ermöglicht wer­den, um Studieren­den die Chance zu geben, ihre freien Pro­jek­tideen im Rah­men größer­er Umset­zungsmöglichkeit­en zu realisieren.

- Viele Studierende ver­fü­gen nicht über die Mit­tel, ihr Studi­um zu Hause zu organ­isieren: Das bet­rifft vor allem Räum­lichkeit­en, Mate­r­i­al, Geräte, Pro­gramme, Maschi­nen und Werkzeuge, die sich in den geschlosse­nen Stu­dios, Ate­liers, Werk­stät­ten und Laboren der Uni­ver­sität befind­en. Genau­so ver­fü­gen längst nicht alle Studieren­den über eigene Com­put­er und (sta­biles) Inter­net. Somit kann gle­ichgestelltes Arbeit­en nicht sichergestellt werden.

4. Regel­haftigkeit des Bach­e­lor- und Mastersystems

- Wer bere­its zwei Urlaub­sse­mes­ter genom­men hat, kann kein drittes Urlaub­sse­mes­ter nehmen.

- Langzeit­stu­di­enge­bühren dro­hen im Falle der reg­ulären Zäh­lung des Semes­ters, ohne dass das Semes­ter gesichert gle­ich­berechtigt wahrgenom­men wer­den kann.

- Für Aktiv­itäten im Zuge der Coro­na-Krise (Ehre­namt, Unter­stützung, etc.) sollte es cur­ric­u­lare Anerken­nun­gen geben.

Ohne die Regel­stu­dien­zeit und die Kon­se­quen­zen ihrer Über­schre­itung in Form finanzieller Auswirkun­gen wäre ein dig­i­tales “Jet­zter­strecht-Semes­ter” für alle eine mögliche Lösung: Gäbe es diese Regeln nicht, müssten wir uns wohl auch nicht in diesem Brief an Sie wen­den, son­dern wür­den es schlichtweg begrüßen, dass Sie die Dig­i­tal­isierung der Uni­ver­sität vorantreiben.

Auch wenn das Som­merse­mes­ter 2020 nicht als reg­uläres Semes­ter in Zeug­nis­sen, Stu­di­en­ver­lauf etc. erscheinen würde, kön­nten Punk­te, die Studierende für dig­i­tales Ler­nen erhal­ten, im näch­sten Semes­ter mit angerech­net wer­den, da es keinen Höchst­wert für anrechen­bare ECTS inner­halb eines Semes­ters gibt. Prak­tis­ches Arbeit­en zu bew­erten, ist auf­grund der oben dargestell­ten unter­schiedlichen Zugänge zu den Mit­teln dafür höchst problematisch.

Wir brauchen juris­tis­chen Schutz gegen noch größere langfristige Nachteile: Wegen der oben dargelegten Beein­träch­ti­gun­gen durch zusät­zliche Belas­tun­gen, dem fehlen­den Zugang zu uni­ver­sitär­er Infra­struk­tur und den daraus resul­tieren­den Ungle­ich­heit­en in Bezug auf Möglichkeit­en des Studi­ums zu Hause fordern wir:

Das Semes­ter darf auf unseren Stu­di­enbescheini­gun­gen offiziell wed­er als Fach- noch als Urlaub­sse­mes­ter gew­ertet wer­den, um uns Studierende angesichts der spez­i­fis­chen Her­aus­forderun­gen größt­möglich­ste Flex­i­bil­ität auf dem Weg zum Erwerb unser­er Abschlüsse zu gewährleis­ten. Ein Studi­um wird nicht nach ein­er bes­timmten Semes­terzahl, son­dern nach Erwerb der erforder­lichen Leis­tungspunk­te und ein­er Abschlus­sar­beit abgeschlossen. Daher wird es weit­er­hin möglich sein, dass Studierende, die unter der jet­zi­gen Sit­u­a­tion dazu in der Lage sind und ECTS erwer­ben oder eine Abschlus­sar­beit ein­re­ichen möcht­en, dies ohne Nachteile erre­ichen kön­nen. ECTS kön­nen auf vorherige oder nach­fol­gende Semes­ter angerech­net wer­den und auch Abschlus­sar­beit­en mit Unter­stützung der Betreuer*innen fer­tig gestellt. 

Wegen der finanziellen Sit­u­a­tion ist abse­hbar, dass ein Teil der Studieren­den ihr Studi­um abbrechen muss — diese Zahlen kön­nten jedoch mit juris­tis­chem Schutz und Sol­i­dar­ität von Seit­en der Uni­ver­sitäten gegebe­nen­falls ver­ringert werden.Ebenso wichtig sind staatliche finanzielle Hil­fen, die den­jeni­gen, deren Unter­stützung von Seit­en der Eltern, deren Selb­st­ständigkeit oder prekäre Jobs wegge­brochen sind, zumin­d­est weit­er­hin etwas Sta­bil­ität gewährleis­ten. Da die meis­ten Studieren­den ohne­hin unter der offiziellen Armutsgren­ze leben, wäre es das min­deste, Grund­ver­sorgung zu gewährleis­ten, um nicht den Weg­bruch ein­er akademis­chen Gen­er­a­tion zu riskieren.

Min­is­te­rien und Uni­ver­sitäten müssten ihr Bestes tun, damit nicht diejeni­gen, die am meis­ten dafür kämpfen, studieren zu kön­nen, die Ersten sind, die die Uni­ver­sitäten ver­lassen müssen.

Wir erwarten von Ihnen, dass Sie Ver­ant­wor­tung für die Studieren­den­schaft an Ihrer Insti­tu­tion übernehmen, und sich sol­i­darisch für Ihre Studierende und deren Belange ein­set­zen. Wir sind für eine Absicherung gegen Nachteile, die aus der Regel­haftigkeit des Stu­di­en­sys­tems resul­tieren, und fordern die Uni­ver­sität mit Dringlichkeit, beson­dere Unter­stützung der inter­na­tionalen Studieren­den in finanziellen- und Visa-Angele­gen­heit­en zu gewährleisten. 

Wir hof­fen auf Ihre Unter­stützung für ein kreatives, sol­i­darisches, neu­trales Semes­ter und verbleiben mit besten Grüßen.

Pol.B

Refer­at für poli­tis­che Bildung

des Studieren­denkon­vent der Bauhaus-Uni­ver­sität Weimar

Mitzeichner*innen:

Studieren­denkon­vent der Bauhaus-Uni­ver­sität Weimar

Refer­at Bauhaus Internationals

Refer­at Queer YMR

Ini­tia­tiv­en des StuKo:

Der Laden Weimar e.V.

Maschi­nen­raum

EJECT — Zeitschrift für Medienkultur

marke.6

Raum­sta­tion

Fach­schaft­srat Kun­st und Gestaltung